Teil I: Offizieller Bericht
Veröffentlicht im Nachrichtenblatt der Baltischen Ritterschaften

500 Jahre – die Jubiläumsfeier der
Familie v. zur Mühlen in Estland


Geboren im Jahre 1505, vermutlich in den niederländischen Provinzen Overijssel oder Gelderland, 1532 erstmals in Reval als „Kaufgeselle“ aktenkundig, 1551 Bürgermeister von Narwa, 1558 vor den Truppen Iwans des Schrecklichen nach Lübeck geflohen, 1559 während einer Geschäftsreise nach Amsterdam gestorben und dort in der Oude Kerk beigesetzt – das sind die Eckdaten eines Kaufmannslebens in unruhiger Zeit: Hermen thor Moelen, der Begründer der Familie v. zur Mühlen im Baltikum. Sein Geburtsjahr nahm die Familie zum Anlaß, ihr 500jähriges Bestehen zu feiern.

Als Ort der Veranstaltung kam nur Estland in Frage, wo sich vom 28. Juli bis 4. August 2005 rund 100 Familienmitglieder einfanden, um sich auf Spurensuche nach ihren Vorfahren zu begeben. Das Unternehmen des Hermen thor Moelen, dessen Geschäftskontakte von Moskau über Nowgorod, Narwa, Reval, Lübeck und Amsterdam bis Antwerpen reichten, war im Rahmen des späthanseatischen Handelsraums durchaus als „global“ zu betrachten, und die Verzweigung der Familie in alle Welt spiegelt den Pioniergeist der Ahnen auch heute wider: Aus 3 Kontinenten und 8 Ländern waren ihre Mitglieder angereist, aus Kanada, USA, Rußland, Frankreich, Holland, Thailand, der Schweiz und Deutschland. Alle Festansprachen wurden ins Englische übersetzt, und untereinander ergab sich ein munter polyglottes Sprachengewirr von „deutsch“ und „undeutsch“ – englisch, französisch, niederländisch und russisch.


Bewegende Orte ... Daß das Jubiläum mit einem beeindruckenden Festprogramm gefeiert werden konnte, ist zum einen dem Vorsitzenden des Familienverbands Roland (Haus Piersal) zu danken, der mit hohem Engagement und großem Organisationstalent in zweijähriger Vorbereitungszeit für das Gelingen verantwortlich zeichnete, und zum anderen den estnischen Gastgebern. Im Bewußtsein, daß die deutsche Kultur ein wesentliches Element ihrer eigenen ist, öffnen die Esten heute den alten Adelsgeschlechtern ihre schönsten historischen Gebäude, um dort mit ihnen gemeinsam zu feiern. So gaben die ehrwürdigen Räume, in denen man sich die Vorfahren lebhaft als Ratsherren, Bürgermeister, Ältermänner der Gilden oder als Landräte vorstellen konnte, den festlichen Rahmen ab für die Gedenkfeiern:

Besondere Emotionen löste der Besuch im ehemals Dehnschen Gutshaus Ragaffer/Rägavere aus, das heute einem jungen Amerikaner gehört: Morgan Hammerbeck, der es in vorbildlicher Weise restauriert hat. Er lud die Familie zu einem Festdiner in die prächtigen Räume ein. Die Seniorin der Familie, Edith (geborene v. Dehn) ist dort aufgewachsen, und der neue Gutsherr forderte die Gäste auf: „Gehen Sie bitte durch das ganze Haus – es gehört ja Ihnen – und kommen Sie wieder!“
... bewegende WorteÄhnlich Bewegendes kam in den vielen Festansprachen zum Ausdruck, die hier nicht im einzelnen resümiert werden können. Nur einige Gedanken seien wiedergegeben, die den Jubiläumsgästen den Eindruck vermittelten, daß das Gemeinsame zwischen Esten und Baltendeutschen heute im Vordergrund der Begegnungen steht, nicht das einstmals Trennende, daß wir willkommen sind und wiederkommen sollen:

Der Vorsitzende des Familienverbands Roland (Haus Piersal) bedankte sich herzlich bei den estnischen Gastgebern, die das Jubiläum zu einem großen Ereignis und einem tiefen Gemeinschaftserlebnis für alle Teilnehmer hatten werden lassen. Er überreichte ihnen als Gastgeschenk das Buch zur Familiengeschichte, das anläßlich des Jubiläums erschienen war. Andere dankten wiederum Roland für seinen Einsatz: Adriaan Zur Mühlen sprach für das Haus Niederlande und Smokey Tormolen für die Gäste aus den USA. Ilka (Haus Piersal) sprach im Revaler Rathaus als Vertreterin der Jugend, die ein Drittel der Teilnehmer stellte und ganz besonders interessiert war an der Familiengeschichte und guten Beziehungen zum heutigen Estland. Um die estnischen Gäste im Saal zu ehren und aus Hochachtung vor diesem Land, das den zur Mühlens 450 Jahre lang Heimat war, begann Ilka ihre Ansprache auf estnisch. Dann stellte sie die Ergebnisse ihrer Umfrage bei den jugendlichen zur Mühlens vor: Estland sei für die Jugend „eine vertraute Fremde“ und beim Gedanken an das Land erfülle sie Sehnsucht, Neugierde und Stolz. Die Neugier, d.h. die „Alt-Gier“, die Gier nach dem Alten werde die junge Generation dazu bringen, die Spurensuche intensiv weiter zu betreiben. Und noch eine Innovation: Beim Zuprosten hieß es überall „Terviseks“, ein estnisches Wort, das die alte Generation uns nicht überliefert hat, weil man damals – wie Urmas Oolup bemerkte – nicht miteinander feierte und trank.
NeuentdeckungenObwohl schon im Jahre 2000 ein Familientag in Estland stattgefunden hatte und viele Familienmitglieder mehrmals in Estland auf Spurensuche waren, gab es auf den Ausflügen ins Landesinnere noch Neuentdeckungen, die der Familienarchivar Patrik (Haus Piersal) aufspürte: Auf der Fahrt nach Dorpat das Altargemälde des Malers Rudolph v. zur Mühlen a.d.H. Brunnen-Arrohof (1845-1913) in der Kirche St. Anna in Weißenstein/Paide und vier Zeichnungen mit Dorpater Stadtansichten im Kunstmuseum von Dorpat. Auf diese hatte der Rektor der Universität, Jaak Aaviksoo, der die Familie empfing und bemerkenswert gut deutsch sprach, aufmerksam gemacht. Auch lohnte der Umweg zum Mühlenschen Gut Forbushof/Vorbuse, das noch intakt ist, umgeben von einem schönen Gutspark. Auf der Fahrt nach Fellin wurde das gut erhaltene Gutshaus Neutennasilm/Uusna aufgespürt, in dem der Sänger Raimund v. zur Mühlen a.d.H. Alt-Bornhusen (1854-1931) geboren wurde, die berühmteste Künstlerpersönlichkeit der Familie. Brahms soll nach einem Konzert, in dem Raimund auch seine Kompositionen vorgetragen hatte, ausgerufen haben: „Endlich, endlich habe ich meinen Sänger gefunden!“ Und Helmut Paudtke leitete fachmännisch die Exkursion nach Narwa, wo – ein Curiosum – seit kurzem im Hof der Hermannsfeste eine Leninstatue prangt, die gen Osten, nach Iwangorod weist, Ausdruck der politischen Ironie der Esten und der Vergangenheitsbewältigung ihrer Sowjetzeit.
Fortsetzung folgt?
Für das nächste Familienjubiläum wendet sich der Blick jedoch von Ost nach West: Im Jahre 1732 verließ Thomas zur Mühlen, Sohn des Revaler Ratsherrn und späteren Bürgermeisters Hinrich zur Mühlen, seine baltische Heimat und zog nach Amsterdam. Er begründete dort das Haus Niederlande, das noch heute unter dem Namen Zur Mühlen in Blüte steht und sich zur Familie zugehörig fühlt. Am erfolgreichen Nobilitierungsgesuch des baltischen Zweiges 1792 an Kaiser Leopold II. beteiligten sich die Niederländer nicht, da der zahlenmäßig unbedeutende Landadel in den Niederlanden kaum eine Rolle spielte. Viele Häuser an den Grachten erinnern an zur Mühlensche Vorfahren, und die Grabplatte des 1559 verstorbenen Hermen ist noch heute in der Oude Kerk zu sehen. Die Idee, das Treffen zum 450. Todestag des Stammvaters im Jahre 2009 möglicherweise in Amsterdam zu veranstalten und die Spurensuche fortzusetzen, hat ihren Reiz.

Birgit v. zur Mühlen

Fortsetzung des Berichts
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